Susi Krautgartner: „Uncanny Valley“, 2006 – 2010

Zu sehen sind Frauen, die durch unterschiedliche Frisuren und Haarfarben, Make-up und Posen verschiedene Typen repräsentieren. Lebendig und zugleich künstlich – zwischen diesen Polen changieren die Porträts der Serie mit dem Titel „Uncanny Valley“. Bei genauerer Betrachtung entpuppen sie sich als serielle Inszenierung ein und derselben Person. Paradoxerweise erscheint diese jedoch von Bild zu Bild immer fremder und unnatürlicher.
Explizit bezieht sich Susi Krautgartner auf die „Uncanny Valley“ genannte Hypothese des japanischen Roboteringenieurs Masahiro Mori aus dem Jahr 1970. Sie besagt, dass künstliche Figuren positive Resonanz auslösen, je mehr Ähnlichkeit sie mit Menschen haben, doch würden völlig abstrakte Avatare besser akzeptiert, als wenn sich die Menschenähnlichkeit einem Punkt zu großer Übereinstimmung nähere. In einem spezifischen Bereich, dem so genannten „Uncanny Valley“, kippe die Empathie in Aversion. Genau diesen Bereich provoziert die Künstlerin, doch unter umgekehrten Vorzeichen. Sie gleicht das eigene Aussehen dem künstlicher Wesen an.
So befragt sie auf verschiedenen Ebenen die Möglichkeiten fotografischer Repräsentation, die Wahrnehmung von Fotografien zwischen analog und digital sowie weitere Diskursfelder, die in diesem Text nur grob skizziert werden können.
Da ist zum einen die Faszination des 19. und frühen 20. Jahrhunderts für Puppen und Automaten mit ihrem Dasein zwischen toter Materie, Stellvertreterfunktion und Belebung. In der Fotografie schlug sich diese Thematik beispielsweise in den Arbeiten von Hans Bellmer und Man Ray nieder – in Verbindung mit der Thematik des Objektstatus’ des weiblichen Körpers. Susi aktualisiert Krautgartner diese Aspekte und zieht Parallelen zu artifiziellen Körpern im 21. Jahrhundert, zur Robotik und dem Streben nach dem perfekten Körper.
Entstanden ist „Uncanny Valley“ durch das Sammeln verschiedener Ausdrucksformen – Mimik und Gestik, Haltung und Pose – aus Film und Fernsehen, Reklame und Schaufenstern. Diese Vorbilder aus medial geprägten Bildwelten ahmt sie vor der Kamera nach. Anschließend glättet sie die Bilder vom eigenen Körper und Gesicht digital, bis die Selbstporträts zu auswechselbaren Hochglanzoberflächen geworden sind.
Das systematische Sammeln physiognomischer Muster verbindet sich mit den Anfängen der Fotografie, mit den damaligen Bestrebungen, Erscheinungsformen zu katalogisieren. In Bezug auf Posen und Gesten bezieht sich Susi Krautgartners Studie auch entfernt auf Aby Warburgs Mnemosyne Atlas und seine systematische Analyse von Körperdarstellungen in der Kunstgeschichte. Dabei kam dem Medium Fotografie aufgrund seines Versprechens, die Realität untrügbar abzubilden, eine wesentliche Rolle zu.
Trotz der Kritik an der scheinbaren Objektivität des Mediums hat sich bis heute ein Vertrauen in die Wirklichkeitswidergabe der Fotografie in vielen Bereichen erhalten. In der zeitgenössischen Kunst hat das Arbeiten in fotografischen Serien oft den Gestus der unverfälschten Wiedergabe und auch Susi Krautgartner spielt mit der dadurch ermöglichten Vergleichbarkeit und unserer Rezeption von Fotografien zwischen Wirklichkeit und Konstruktion.
Die Auffächerung des eigenen Aussehens in medial auferlegte wie selbst gewählte Vorbilder überführt Susi Krautgartner in zwitterhafte Porträts. Sie verblüfft in Rollen, die zwar unterschiedlichen, jedoch austauschbar erscheinen, macht sie sich doch bestimmte Stereotypen zu eigen. In der populären Bildwelt dienen diese Wunschbilder vor allem kommerziellen Zwecken. Die Selbstentfremdung der Künstlerin spielt durch die Überhöhung der Perfektion auf Instrumentalisierungen des weiblichen Körpers in den Massenmedien an.
Susi Krautgartner setzt sich mit den Ansprüchen an das Ich – als Künstlerin und als Frau – auseinander, indem sie kollektive Schönheitsvorstellungen auf den eigenen Körper projiziert. Dabei werden geschlechtliche Rollenbilder auch mit einem gewissen Humor persifliert und die Grenzen der Mimikry in der fotografischen Repräsentation spielerisch erkundet.
Darüber hinaus rührt „Uncanny Valley“ auch an den Begriff des Unheimlichen bei Ernst Jentsch und Sigmund Freud. Jentschs Auffassung vom Zweifel an der Beseeltheit eines Menschen bzw. vom Eindruck, ein Gegenstand sei beseelt spielt bei Krautgartner ebenso eine Rolle wie Freuds Ansatz, das Unheimliche entspringe gerade dem Vertrauten, dem „heimischen“. Am Übergang von modellhafter Statik und zufällig eingefangener Lebendigkeit versucht Susi Krautgartner ganz bewusst, diesen transformatorischen Moment entstehen zu lassen, indem sie das vertraute Aussehen dem eines seelenlosen Cyborgs annähert. Dabei ruft die Figur aufgrund ihrer Präsentation als filmstillartiges Standbild die Vorbilder aus zeitbasierten Medien wie dem Film ins Gedächtnis. Doch sind die Bilder radikal reduziert: während beispielsweise Cindy Sherman mit ihren „Untitled Film Stills“ noch verschiedene Rollen in Umgebungen, die auf filmische Räume referieren, dekonstruierte, sind Susi Krautgartners Imitationen aus dem ursprünglichen Kontext gelöst. Monochrome Hintergründe bewirken eine klinische Atmosphäre bzw. haben die Anmutung abstrakter Metaräume, in denen artifizielle, binär codierte Figuren auftreten. Alles scheint präzise kalkuliert und absolut kontrolliert.
Im realen Leben setzt sich Susi Krautgartner auch wissenschaftlich mit diesen Thematiken auseinander. Sie hat ihre Dissertation über die Darstellung von Schmerz im künstlerischen Selbstporträt verfasst. In ihrer Serie „Uncanny Valley“ fallen die Parts vor und hinter der Kamera jedoch nur scheinbar zusammen. Stattdessen fragt sie nach der Genese unserer Selbst- und Wunschbilder und inwiefern mediale Vorbilder bewusst und unbewusst unsere alltäglichen Bewegungen und unsere Rollenbilder beeinflussen. Schließlich geht mit der großen Präsenz fotografischer und filmischer Bilder im Alltag ein gewisser Verlust an Natürlichkeit und Gelassenheit einher.
Und war die Faszination an der Fotografie zunächst darin begründet, dass das Bildmedium die Realität scheinbar so perfekt nachbilden kann, so sind wir es nun, die versuchen, unsere realen Körper den fotografisch manipulierten anzugleichen.

Stefanie Hoch, 2011